Inflation in der Türkei: Missmanagement am Bosporus

Die Krise in der Türkei könnte ein Vorbote zu weiteren in anderen Schwellenländern sein
Erschienen im Standard, am 17. Jänner 2022

Es gibt viele Möglichkeiten und Wege, unseren Wohlstand zu verplempern. Setzen Sie auf aktive hauseigene Fonds von Finanzinstitutionen mit hohen Kosten und unterdurchschnittlichen Erträgen, Investments in geschlossene Fonds, handeln Sie ständig an den Märkten (Day-Trading), Investitionen ohne Rechtssicherheit (Kryptowährungen), Lebensversicherungen als Ansparprodukte mit Garantien zu nutzen, jemanden zu heiraten, der ein Faible für hohe Ausgaben hat, zu früh in Rente gehen, der Kauf gehebelter Derivate oder imitieren Sie die Ausgaben Ihrer wohlhabenden Freunde… Jeder kann sich langsam selbst ruinieren – und viele tun das auch. So wie dies Menschen zustößt, so passiert dies auch immer wieder ganzen Nationen. Was wirklich Aufmerksamkeit erregt, ist, wenn es schnell passiert – wie gerade in der Türkei.

Vergangene Krisen der Schwellenländer

Insbesondere während der 1980er und 1990er Jahre hatten wir es ziemlich regelmäßig mit Staatsbankrotten in einigen Schwellenländern zu tun. Die 1980er Jahre waren ein verlorenes Jahrzehnt für Lateinamerika, wonach sich ein Land nach dem anderen überschuldete und viele dieser Länder mit ihren Schulden säumig waren. Dies stand im engen Zusammenhang mit den sinkenden Ölpreisen, wodurch die Einnahmen aus harten Währungen, die diese Länder zur Bedienung ihrer Schulden benötigten, dahinschwanden. Praktisch jedes Land in Lateinamerika war betroffen. Abgesehen von einigen Episoden in den 1990er Jahren wie der Tequila-Krise in Mexiko im Jahr 1994, verlagerte sich der Fokus in den 1990er Jahren mit der Asienkrise von 1997 und der russischen Zahlungsunfähigkeit von 1998 zunehmend in den Osten (davon ausgenommen die Argentinien-Krise im Jahr 2001). Seitdem war es bemerkenswert ruhig an der Front der Schuldenkrisen von Schwellenländern.

Erdogan und aufstrebende Ökonomien

Eine Inflationsrate von knapp 40 Prozent in der Türkei führt dazu, dass die Kaufkraft von Millionen Menschen verpufft. Trotz dieser enormen Preissteigerungen wurden Zinssenkungen auf preschen des türkischen Präsidenten durchgeführt. Das billige Geld lässt zwar das Wirtschaftswachstum ansteigen, führt aber zu massiver Inflation, welche das Vertrauen in die türkische Lira noch weiter sinken lässt. Die türkische Währung wird folglich so weit abgewertet werden, dass die Türkei ihre auf Euro und Dollar lautenden Schulden nicht mehr bedienen kann und dann zahlungsunfähig wird. Der Internationale Währungsfonds wird eingreifen und einschneidende Reformen im krisengebeutelten Land durchsetzen. Für die damit einhergehende schwere Rezession, die Schmerzen und das Leid der Bevölkerung wird der Währungsfonds verantwortlich gemacht werden. Das Missmanagement der ökonomischen Krise in der Türkei kann jedoch lediglich ein „Vorfunke“ einer Reihe weiterer Zahlungsausfälle in anderen Schwellenländern sein.

Dies deshalb, da entwickelte Volkswirtschaften, wie die USA und Europa, ihre eigenen Währungen haben und sie geben Anleihen in ihrer Heimatwährung aus. Die Schulden der Schwellenländer lauten jedoch inzwischen zu knapp 50 Prozent auf Fremdwährungen (somit Euro oder Dollar) – praktisch unverändert seit den letzten Jahrzehnten. Hinzu kommt, dass mehr als 40 Prozent dieser Schulden von Anlegern außerhalb dieser Nationen gehalten werden. Die meisten Gläubiger in entwickelten Ländern werden an diesen Schulden nicht festhalten, wenn sie beginnen Schwierigkeiten am Horizont zu sehen. Das bedeutet, dass ausländische Investoren bei Schwierigkeiten in diesen Schwellenländern ihre Anleihen verkaufen werden, was die Preise nach unten drückt und die Zinsen noch weiter steigen lässt. Unterdessen werden die lokalen Währungen dieser Schwellenländer rapide abwerten, wodurch es noch schwieriger wird, Zinsen für Fremdwährungsanleihen zu zahlen – ein Teufelskreis.

Auswirkungen auf die Volkswirtschaften

Über die vergangenen Jahre hat sich die Rendite-Kluft zwischen internationalen Märkten und den US-amerikanischen Finanzmärkten noch weiter vergrößert. Die relative Schwäche internationaler Märkte ist so alltäglich geworden, dass sie kaum in den Finanznachrichten auftaucht. Da die USA und Europa bereits andeuteten, die Zinsen zu erhöhen und dies Schritte sind, welche für einige Schwellenländer zu einem Problem führen könnten, kann sich dadurch die Lage für viele Schwellenländer noch weiter zuspitzen. Viele Schwellenländer erleben derzeit Schuldenbooms, welche länger als die durchschnittlichen Schuldenbooms der Vergangenheit andauern, während gleichzeitig das Wirtschaftswachstum dieser Länder im Gegensatz zu früheren Episoden schwächer ausgeprägt ist. Das Ergebnis ist, dass die Luft für diese Länder dünner wird und die Haushaltsdefizite jetzt größer sind als in früheren Perioden. Die Schuldentragfähigkeit ist somit schlechter als je zuvor. In der Vergangenheit, als all diese Bedingungen erfüllt waren, endeten viele dieser Länder in einem Staatsbankrott.

Präsident Erdogan entlässt jeden, der ihm solche Dinge erklärt. Da ist die Rede von ausländischen „Zins-Lobbyisten“ und von Verschwörungen, welchen seinen Feinden zugeschrieben werden. Die Leidtragenden dieser Entwicklungen sind, wie so oft in solchen Ländern, die Menschen. Seit 2014 residiert Erdogan in einem neuen Präsidentschaftspalast mit rund 1000 Zimmern, welcher in einem Naturschutzgebiet zu Kosten in Höhe von 500 Millionen Euro errichtet wurde. Dies bringt mit sich, dass die Verzweiflungsschreie der eignen Bevölkerung nur schwer zu hören sind. Aber vielleicht ist sich der Präsident dessen nicht bewusst.