Rentenalter und Einkommensungleichheit

Erschienen im Standard, am 13. Juli 2022

Viele ArbeitnehmerInnen unterschätzen das kommende Pensionsloch. Mittlerweile verlieren die ÖsterreicherInnen jährlich rund 10 Milliarden Euro durch Spareinlagen. Zwischen 1970 und 2010 erzielten Bundesanleihen im Durchschnitt noch etwa 3,6 Prozent an jährlicher Rendite. Diese Zeit der positiven Erträge ist vorbei und die positive Wertentwicklung muss anderweitig erzielt werden.

Viele Menschen im regulären Erwerbsleben fragen sich, wo der Mittelstand geblieben ist, oder warum sie mit über 2.000 Euro netto Gehalt nach dem neuen Gesetz zur Finanzierung von Eigentum, zu wenig verdienen, um kreditwürdig zu sein. Erst kürzlich sprach ich mit einer Bekannten (in Pension und über 70 Jahre alt), welche mir mitteilte immer noch arbeiten zu gehen, um über die Runden zu kommen. In Österreich gibt es die Kommission zur langfristigen Finanzierung der Alterssicherungssysteme, kurz „Alterssicherungskommission“, aber diese kann über die Verschlechterungen der der unzähligen Pensionsreformen seit den 1990er Jahren für die Arbeitnehmer nicht hinwegtäuschen.

Probleme der Finanzierung von Pensionen

Viele Länder in Europa haben das Pensionsalter geändert, um staatliche Pensionen wirtschaftlich nachhaltig zu gestalten. Die Grundidee ist gut, man kann den Ruhestand um ein paar Jahre hinausschieben und erhält dafür höhere Leistungen aus der Sozialversicherung oder anderen staatlichen Mitteln. Wer vorzeitig in den Ruhestand gehen muss oder will, kann dies tun, muss aber entweder auf spätere staatliche Rentenzahlungen warten oder geringere Pensionseinkommen in Kauf nehmen. Da wir alle heute viel länger leben als zu Zeiten der Gestaltung der Pensionssysteme, von denen wir profitieren, ist es im Durchschnitt sinnvoll, Menschen, die vorzeitig in Rente gehen und ihre Rente voraussichtlich länger beziehen, im Durchschnitt eine niedrigere Rente zu zahlen, bevor sie sterben. Aber das Problem mit dieser Politik, wie mit so vielen von Makroökonomen entworfenen Politiken, ist, dass sie zwar im Durchschnitt funktioniert, aber nicht die Unterschiede zwischen Individuen widerspiegelt.

Im Jahr 2022 ist das Pensionsantrittsalter nach vielen Jahren der Stagnation angestiegen. Männer traten im Schnitt mit 61,8 Jahren in den Ruhestand und Frauen mit 59,8 Jahren. Frauen sind damit schon sehr nahe am gesetzlich festgelegten Regelpensionsalter von 60 Jahren. Männer fehlt hingegen auf die 65 Jahre immer noch ein einiges an Jahren. Die allgemeine Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen liegt bei ca. 76 Prozent. Bis zum Jahr 2040 soll diese auf über 78 Prozent ansteigen. Die  höhere Lebenserwartung führt jedoch zu einer Veränderung des Verhältnisses der Erwerbspersonen zu jenen im Pensionsalter. So kamen 1951 auf eine Person im Pensionsalter noch vier aktive Erwerbspersonen. Heute sind es hingegen nur noch drei Personen und 2030 lediglich noch zwei aktive Erwerbspersonen. Das umlagefinanzierte System, wird daher vor einer Bewährungsprobe stehen.

Ein Großteil der Bevölkerung geht also vorzeitig in den Ruhestand, obwohl sie dadurch Pensionseinkommen verliert. Und ja, viele dieser Frührentner tun es nicht, weil sie es wollen, sondern weil sie es müssen. Ein großer Treiber davon ist auf die Altersdiskriminierung oder die Beschäftigung von Menschen mit Beeinträchtigung zurückzuführen (die meisten Betriebe in Österreich kaufen sich mittels Ausgleichstaxe frei). Menschen, die ihren Job verlieren, wenn sie über 55 sind, haben es wirklich schwer, einen neuen Job zu finden. Aber noch wichtiger ist, dass Menschen mit körperlich anstrengenden Jobs möglicherweise vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen, weil ihr Körper sie nicht mehr arbeiten lässt.

Und hier kommt das Problem ins Spiel, denn Menschen, die in körperlich anstrengenden Jobs arbeiten, verdienen auch tendenziell weniger als Angestellte in einem Büro, in dem die größte körperliche Belastung für ihren Körper darin besteht, gerade auf einem Stuhl zu sitzen.

Wenn Sie also einen körperlich anstrengenden Job haben, können Sie über Ihre gesetzliche Rente hinaus wahrscheinlich nicht viel für den Ruhestand sparen. Dann müssen Sie jedoch eine geringere Rente in Kauf nehmen, weil Ihr Körper überfordert ist und Sie zur vorzeitigen Pensionierung zwingt. Inzwischen haben wir Büroangestellte gut bezahlte Jobs und können im Alter länger arbeiten (vielleicht sogar ein paar Beratungsjobs im Ruhestand bekommen, um etwas hinzuzuverdienen) und unser Körper erlaubt uns dies, bis wir 65 oder älter sind. Am Ende hat der Arbeiter, der vorzeitig in den Ruhestand geht, einen viel größeren Einkommens- und damit Konsumverlust als der Büroangestellte. Die Einkommensungleichheit, die vor der Pensionierung bestand, wird nach der Pensionierung verstärkt.

Es überrascht vielleicht nicht, dass es einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Einkommen und körperlich anstrengender Tätigkeiten gibt. Je höher das Einkommen von Arbeitern und Angestellten ist, desto seltener haben sie körperlich anstrengende Jobs.

AK Experte Grünberger fordert Alternativen

Das Patentrezept gibt es nicht, jedoch steht fest, dass die beiden anderen Säulen der Pensionsvorsorge mangelhaft konstruiert wurden und teils negative Erträge für die Arbeitnehmer erzielen. Die nationale Ausrichtung bzw. die Beschränkungen auf die Eurozone dieser Vorsorgeprodukte erhöhte deren Krisenanfälligkeit. Was ist die Lösung für das Problem der Finanzierung der Pensionen? Welche alternativen Lösungsansätze gibt es?

Konsumentenschutzexperte Mag. Thomas Grünberger der Arbeiterkammer vertritt die Auffassung, dass es eine „Erweiterung“ der möglichen Vorsorgevarianten und der finanziellen Rahmen-bedingungen braucht. Laut dem AK Verbraucherexperten könnten Kapitaleinkommen oder sogenannte leistungslose Einkommen (z.B. Vermögenswerte aus Hinterlassenschaften) die Beitragsbasis erweitern. In diesem Zusammenhang könnten ebenso gesellschaftlich und sozial erwünschte Tätigkeiten (z.B. jahrzehntelanger freiwilliger Dienst bei Feuerwehr oder Rettung) auf die Pension angerechnet werden. Vielfach engagierten Geringverdienern hätten so die Möglichkeit ihre Pensionsleistungen zu erhöhen.

Ein weiterer Lösungsansatz ist, über die herkömmlichen Reformvorschläge hinaus zu denken und dass das Pensionsalter von der Art der Arbeit abhängen sollte, die Sie ausüben. Menschen mit einem körperlich anstrengenden Job sollten ein niedrigeres Pensionsantrittsalter haben als Menschen mit einem Bürojob. Im Wesentlichen würde dies das Pensionsalter mehr in Richtung eines Prozentsatzes der Lebenserwartung verschieben, ohne es zu komplex zu machen. Es wäre wirklich gut, wenn Politiker überall anfangen würden, auf diese Weise über die Pensionsreformen nachzudenken, anstatt darüber nachzudenken, wie man die Pensionen kürzen kann, ohne es tatsächlich als Kürzung bezeichnen zu müssen (die derzeitige Geldentwertung mittels hoher Inflation und dadurch gestiegener Steuereinnahmen bringt dies deutlich zum Ausdruck).