Wie man in katastrophalen Zeiten Vermögen und Sicherheit bewahrt

Strategien zur Vermögenssicherung jenseits von Gold und Bitcoin in extremen Krisenszenarien
Erschienen im Standard, am 30. Juli 2024

Der letzte Blogbeitrag behandelte das Thema “Vermögenssicherung in unsicheren Zeiten: Strategien und Analysen“. Was aber, wenn die Zeiten nicht unsicher, sondern katastrophal sind? Was hilft dann? Wie schützt man sich dann am besten?

Angesichts des Aufstiegs populistischer Bewegungen, der weltweit wachsenden Schuldenlasten der Nationen und der drohenden Möglichkeit weiterer kriegerischer Auseinandersetzungen gibt es einige Diskussionen darüber, wie man im Falle eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs investieren sollte. Obwohl diese aufgezeigten Punkte dazu tendieren, übermäßig dramatisch zu sein, sind die meisten Theorien darüber, wie man sein Geld für den “Worst Case” anlegen sollte, fehlgeleitet. Eines der schlechtesten Argumente, die ich je gehört habe, ist, dass man im Falle eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs Gold oder Bitcoin besitzen sollte. Ich kann Ihnen versprechen, dass beide in diesem Szenario wertlos sein werden. Internetgeld und ein glänzender Stein haben nur in einer funktionierenden Zivilisation einen Wert, nicht in apokalyptischen Szenarien.

Wenn die Welt (wie wir sie kennen) aus den Fugen gerät, könnten viele der Dinge, auf die wir uns heute verlassen, wie das Internet, nicht mehr verfügbar sein. In einem solchen Szenario würde sich das, was wir wertschätzen, dramatisch ändern. Dinge, die in einer zivilisierten Gesellschaft traditionelle Wertaufbewahrungsmittel waren (zum Beispiel Bitcoin, Gold, Aktien usw.), hätten in einer unzivilisierten Gesellschaft fast keinen Nutzen.

Die Finanzwelt in apokalyptischen Szenarien

In einem wirklich apokalyptischen Szenario würde die Finanzwelt, wie wir sie kennen, wahrscheinlich zusammenbrechen. Traditionelle Finanzsysteme, Börsen und Banken würden möglicherweise nicht mehr funktionieren. In diesem Fall käme es zu folgenden Entwicklungen:

  1. Bargeld: In den ersten Tagen oder Wochen nach einem Zusammenbruch könnte Bargeld noch einen gewissen Wert haben. Allerdings würde dieser Wert schnell schwinden, da die Menschen erkennen, dass Papiergeld ohne ein funktionierendes Finanzsystem bedeutungslos ist.
  2. Edelmetalle: Gold und Silber könnten in einer Übergangsphase als Tauschmittel dienen, aber ihr praktischer Nutzen wäre begrenzt. In einer echten Überlebenssituation wären sie weniger wertvoll als lebenswichtige Güter, wie Trinkwasser, Wasseraufbereitungsmittel, haltbare Nahrungsmittel, Medikamente und medizinische Ausrüstung. Diese Güter sind für das unmittelbare Überleben unerlässlich. Im Gegensatz zu Edelmetallen erfüllen sie grundlegende menschliche Bedürfnisse und haben einen direkten praktischen Nutzen in Krisensituationen.
  3. Kryptowährungen: In einem Szenario, in dem die Stromversorgung und das Internet zusammenbrechen, wären Kryptowährungen praktisch wertlos.
  4. Aktien und Anleihen: Diese Finanzinstrumente würden in einem vollständigen Zusammenbruch der Gesellschaft ihren Wert verlieren, da die Unternehmen und Regierungen, die sie stützen, möglicherweise nicht mehr existieren.
  5. Schulden: In einem völligen Zusammenbruch könnten Schulden bedeutungslos werden, da es keine Institutionen mehr gäbe, die sie eintreiben könnten.

Anpassung der Finanzwelt

In einem weniger extremen Szenario, bei dem einige Strukturen erhalten bleiben, könnte sich die Finanzwelt wie folgt anpassen:

  1. Tauschhandel: Es könnte sich ein System des Tauschhandels entwickeln, bei dem Güter und Dienstleistungen direkt gegeneinander getauscht werden. Denken wir an die schwere Wirtschaftskrise in Argentinien, die ihren Höhepunkt um 2001 bis 2002 erreichte. Das offizielle Währungssystem brach weitgehend zusammen. Als Reaktion darauf entstanden in vielen Teilen des Landes sogenannte “Trueque-Clubs” (Tauschclubs).
  2. Alternative Währungen: Lokale Gemeinschaften könnten eigene Währungen entwickeln, basierend auf verfügbaren Ressourcen oder Fähigkeiten. So wurde beispielsweise eine Regionalwährung in Deutschland während der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre eingeführt. Sie wurde in der Stadt Schwanenkirchen aufgelegt und half, die lokale Wirtschaft zu beleben.
  3. Wertbasierte Systeme: Der Wert könnte sich auf Güter wie Nahrung, Wasser, und Brennstoffe und anderwärtige Produkte verlagern. So wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Zigaretten als inoffizielle Währung verwendet. Sie waren wertvoll, leicht zu transportieren und teilbar.
  4. Dezentrale Finanzsysteme: Wenn Teile der Technologie erhalten bleiben, könnten sich dezentrale Finanzsysteme entwickeln, die unabhängig von traditionellen Banken und Regierungen funktionieren. Denken wir an Peer-to-Peer-Lending-Plattformen, welche direkte Kredite zwischen Einzelpersonen ohne Zwischenschaltung einer Bank ermöglichen.
  5. Ressourcenbasierte Ökonomie: Der Wert könnte sich auf die Kontrolle und den Zugang zu wichtigen Ressourcen verlagern, anstatt auf abstrakte finanzielle Instrumente, wie Derivate oder andere Finanzinstrumente. Ein historisches Beispiel für eine ressourcenbasierte Ökonomie, bei der sich der Wert auf die Kontrolle und den Zugang zu wichtigen Ressourcen verlagerte, ist das Feudalsystem im mittelalterlichen Europa (circa 9. bis 15. Jahrhundert). Das Grundprinzip basierte darauf, dass sich der Wert und die Macht primär auf Landbesitz und die Kontrolle über landwirtschaftliche Ressourcen stützten.

Strategien zur finanziellen Absicherung

Angesichts dieser möglichen Szenarien können folgende Strategien zur finanziellen Absicherung in Betracht gezogen werden:

  1. Diversifikation: Verteilen Sie Ihr Vermögen auf verschiedene Anlageformen, um das Risiko zu streuen. Dies umfasst: verschiedene Anlageklassen (zum Beispiel Aktien, Anleihen, Immobilien, Rohstoffe), verschiedene Anlageinstrumente innerhalb jeder Klasse (zum Beispiel unterschiedliche Aktien oder Fonds), verschiedene Währungen, verschiedene geografische Regionen.
  2. Tangible Vermögenswerte: Investieren Sie in physische Vermögenswerte wie Land, erneuerbare Energiequellen oder produktive Anlagen, die auch in Krisenzeiten nützlich sein könnten.
  3. Fähigkeiten und Bildung: Investieren Sie in Ihre eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse, die in verschiedenen Szenarien wertvoll sein könnten.
  4. Resilienz: Konzentrieren Sie sich auf Investitionen, die Ihre persönliche und finanzielle Widerstandsfähigkeit erhöhen, wie zum Beispiel autarke Systeme oder nachhaltige Technologien.
  5. Gemeinschaft: Bauen Sie starke soziale Netzwerke und Gemeinschaften auf, die in Krisenzeiten zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen können.

Schlussfolgerung

Während die Wahrscheinlichkeit eines vollständigen gesellschaftlichen Zusammenbruchs gering ist, zeigt die Betrachtung solcher Szenarien die Grenzen unseres derzeitigen Finanzsystems auf. Es unterstreicht die Bedeutung von Resilienz, Anpassungsfähigkeit und der Fokussierung auf grundlegende menschliche Bedürfnisse und Fähigkeiten.

In weniger extremen Krisensituationen, wie lokalen wirtschaftlichen Zusammenbrüchen oder Währungskrisen, könnten traditionelle Wertaufbewahrungsmittel wie Gold oder sogar Bitcoin noch eine Rolle spielen. Sie könnten als Mittel dienen, um Wert über Grenzen hinweg zu transportieren oder als Absicherung gegen lokale wirtschaftliche Instabilität.

Letztendlich sollte eine kluge finanzielle Vorbereitung auf extreme Szenarien Teil einer breiteren Strategie sein, die Resilienz, Anpassungsfähigkeit und nachhaltiges Denken in den Vordergrund stellt. Dies kann nicht nur in Krisenzeiten von Nutzen sein, sondern auch zu einem stabileren und nachhaltigeren Finanzsystem in normalen Zeiten beitragen. (Bernhard Führer, 30.7.2024)