Unser Verhalten und wie es die Geldanlage beeinflusst
Negatives wird stärker wahrgenommen als Positives. Deswegen neigt man eher dazu, Geld zu sparen, als das Risiko einer Anlage einzugehen
Erschienen im Standard, am 6. Dezember 2021
Während meiner langjährigen Erfahrung in der Geldanlage habe ich erlebt, wie Anleger und Investoren viele kostspielige Fehler machten. Diese Fehler passierten aus einer Vielzahl von Gründen, einschließlich mangelnder Kenntnisse der Materie. Einige wurden jedoch einfach deshalb gemacht, weil Anleger als Menschen anfällig für Verhaltensfehler sind. Zum Beispiel haben einige Anleger eine starke Tendenz, sich ihrer Fähigkeiten zu sicher zu sein. Selbstüberschätzung kann zu vielen Fehlern führen, einschließlich übermäßiger Risikobereitschaft. Um Ihnen zu helfen, solche Fehler bei Ihrem Anlageverhalten zu vermeiden, gehen wir auf einige wenige dieser Verhaltensverzerrungen näher ein.
Die Evolution und ihre Auswirkungen auf unser Verhalten
Die Anfänge der menschlichen Evolution begannen vor circa vier bis sieben Millionen Jahren. Unsere Vorfahren verbrachten den Großteil ihrer Zeit als Jäger und Sammler. Daraus kann gefolgert werden, dass ein erheblicher Teil unseres Investitionsverhaltens von Mechanismen gesteuert wird, die aus diesem Zeitraum stammen. Muster, die unser Verhalten beeinflussen (unter anderem Konfrontation, Kampf, Angriff und Flucht), wirken sich auch heute noch auf das Investmentverhalten und auf die Kapitalmärkte aus. Negative Verhaltensweisen, die häufig von Emotionen getragen werden, sollten in der Vermögensveranlagung jedoch keinen Platz finden.
Anleger und Investoren machen sich eher um Verluste und Gewinne sorgen als über deren Höhe. Untersuchungen zeigten1, dass Menschen Verluste erheblich negativer empfinden als Gewinne positiv. Sie versuchen eher, Verluste zu vermeiden, als Gewinne zu erwirtschaften. Das soll heißen, dass wir mehr Angst haben zu verlieren als Freude am Gewinnen. Die Psychologen Daniel Kahneman (Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften) und Amos Tversky führten im Hinblick auf die Verlustaversion eine Vielzahl von Untersuchungen durch. Es wird vermutet, dass Verluste deshalb schwerer auf uns wiegen, da ein asymmetrisch evolutionärer Druck auf uns lastet. Für jemanden, der ums Überleben kämpft, kann die vergebliche Suche nach Nahrung zum Tod führen (die entgangene Beute, der Verlust), während der Gewinn einer zusätzlichen Mahlzeit nicht einen zusätzlichen “Lebenstag” verspricht.
Diese Verlustaversion steht in enger Verbindung mit der Status-quo-Verzerrung (Status quo wird gegenüber Veränderungen vorgezogen) und dem Besitztumseffekt (wir messen Dingen mehr Wert zu, die wir besitzen, als solchen, die wir nicht besitzen), die ebenso Verzerrungserscheinungen zuzuordnen sind. Diese Verhaltensverzerrungen treten bei Erbschaften und ebenso bei Vermögenswerten auf, die auf andere Art und Weise übernommen wurden. Es wird der gegenwärtige Zustand gegenüber anderen vorgezogen, da mit Handlungen Risiken (psychologische) verbunden werden. Herabwürdigung und Ansehensverluste sollen daher um jeden Preis vermieden werden.
Sparer sparen
Diese negativen Effekte erklären auch ein Stück weit, warum Sparer Milliarden auf der “hohen Kante” haben und die Scheu vor anderen Veranlagungsformen (Anlageklassen und Wertpapiere) groß ist. “Sparern” entgehen damit Milliarden. Obwohl Spareinlagen weit unter der Inflation liegen (die Tendenz zeigt sich in ganz Europa) und reale Verluste (nach Inflation) in Kauf genommen werden, tun sie dies, um Verluste durch den Kauf von anderen Veranlagungsformen (Wertpapiere, Anleihen) zu vermeiden. 80 Prozent des neu angelegten Geldes werden in Österreich in Spareinlagen veranlagt. Lediglich ein Bruchteil des Gesamtvermögens entfällt auf Anlageklassen. Die Geschichte lehrt uns jedoch, dass es zu fortwährenden Preissteigerungen kommt (bei 3,5 Prozent Inflation sinken die Ersparnisse nach 20 Jahren um die Hälfte).
Das Vernachlässigen von Informationen kann ein Stück weit erklären, warum sich Menschen, Familien, Anleger und Sparer so verhalten und ihnen so Milliarden an Euros entgehen. Informationen werden zumeist einfach nicht beachtet oder, noch schlimmer, falsch gedeutet. Es wird in diesem Zusammenhang häufig auch von der Vernachlässigkeits-Heuristik gesprochen. Die Welt, in der wir leben, das Arbeitsumfeld und viele andere Bereiche, in denen wir uns wiederfinden, sind voll von Informationen, die uns beeinflussen. In welchen Kontext diese Informationen eingebettet sind oder in welcher Reihenfolge wir Informationen verarbeiten, kann dabei eine wichtige Rolle bei deren Wahrnehmung spielen. So kommt es, dass in weiterer Folge Informationen selektiver aufgenommen werden. Die Tendenz der Menschen, denjenigen Personen mehr Beachtung zu schenken, die unserer Meinung sind, verstärkt dies noch weiter. Wenn andere mit unserer Meinung übereinstimmen, sind wir gerne mit ihnen in Gesellschaft. Genauso wie wir uns eher Medien zuwenden, die unsere politische Einstellung teilen. Wenngleich dies die Voreingenommenheit noch weiter stärkt.
Der Wunsch, überdurchschnittlich zu sein
Die überwiegende Mehrzahl der Fondsmanager erzielen keine besseren Leistungen als ihr Vergleichsindex (= der Durchschnitt). Davon sind zumeist über 90 Prozent der Fondsmanager und das quer über die verschiedenen Fondskategorien hinweg betroffen (kleine, mittlere, große und bestimmte Regionen als auch Branchen). Die Dunkelziffer dürfte noch viel höher sein, da erfolglose Fonds mit der Zeit vom Markt genommen oder mit anderen erfolgreicheren Fonds zusammengeführt werden. Die Anleger sind folglich viel schlechter gestellt, wenn sie mit diesen investieren.
Warum glauben auch Fondsmanager, dass sie besser als der Markt sind? Hier kommt wieder das Verhalten ins Spiel. Einer der Hauptgründe ist eine falsche Selbsteinschätzung beziehungsweise Selbstwahrnehmung. Fondsmanager, Anleger und Investoren schätzen sich als viel besser ein, als sie tatsächlich sind. Die Erwartungen und die Realität klaffen dabei sehr weit auseinander. Aber dies ist nicht nur auf dem Finanzsektor zu beobachten. Denken wir beispielsweise an Autofahrer. Studien zeigen2, dass die meisten Menschen glauben (über 70 Prozent), überdurchschnittlich gute Fahrzeuglenker zu sein und dabei weniger Fehler als andere Autofahrer zu machen. Nur: Aufgrund der Mathematik ist es schon nicht möglich, dass 70 Prozent besser als der Durchschnitt sind.
Übermäßiges Vertrauen in unsere Fähigkeiten kann in gewisser Weise ein sehr gesundes Attribut sein. Es gibt uns ein gutes Selbstwertgefühl und schafft einen positiven Rahmen, mit dem wir die Erfahrungen des Lebens meistern können. Leider kann es zu Anlagefehlern führen, wenn wir uns in Bezug auf unsere Anlagefähigkeiten zu sicher fühlen, dass man über dem Durchschnitt liegt. Selbstüberschätzung führt zu unrealistischem Optimismus, und Anleger werden dazu veranlasst, ihre Portfolios auf eine Handvoll Anlagemöglichkeiten zu konzentrieren, anstatt die Vorteile der Diversifizierung zu nutzen.
Lehren versus Lernen
Als Menschen machen wir alle möglichen Verhaltensfehler. Daher sollte es keine Überraschung sein, dass wir diese ebenso bei der Geldanlage machen. Mein Buch “Fehler und Risiken, die alle Anleger und Investoren begehen” widmet diesem Umstand ein ganzes Kapitel. Verhaltensverzerrungen zeigen sich auch eindringlich daran, dass über die letzten 20 Jahre der durchschnittliche Anleger rund zwei Prozent Rendite erwirtschaftete, und dies bei einem Durchschnitt von acht Prozent, die bestimmte Anlageklassen insgesamt erzielt hätten. Diese große Differenz lässt sich mit dem Verhalten der Anleger erklären. Sie tendierten dazu zu kaufen, wenn Märkte sehr gute Erträge erbrachten, und zu verkaufen, wenn Märkte sehr schlechte Renditen erzielten.
Die unglückliche Wahrheit ist, dass Lektionen leichter zu lehren als zu lernen sind. Kluge Menschen sind bescheiden und in der Lage zuzugeben, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Tatsächlich freuen sie sich zu erfahren, dass sie einen Fehler gemacht haben, weil sie in Zukunft weniger falsch liegen werden. Sie wissen auch, dass sie ihre Fehler nicht wiederholen und dennoch unterschiedliche Ergebnisse erwarten können. (Bernhard Führer, 6.12.2021)