“Ich glaube, die Zeit der ‘Abofallen’ ist vorbei”
Erschienen auf Leadersnet, am 8. Juli 2024
Tractive ist nicht nur Weltmarktführer, sondern auch eines von wenigen heimischen Start-ups mit einer Milliardenbewertung (Unicorn). Im LEADERSNET-Interview spricht GF und Mitgründer Michael Hurnaus u.a. über seinen Werdegang sowie seine Zeit bei Microsoft und Amazon. Zudem verrät er, wieso sein Unternehmen weltweit dermaßen erfolgreich ist, wie ihn Florian Gschwandtner zur Gründung bewogen hat, was Donald Trump mit der Verlagerung der Produktion in westliche Länder zu tun hat und welche neuen Geschäftsfelder das größte Potenzial haben.
LEADERSNET: Sehr geehrter Herr Hurnaus, Tractive hat Hunderttausende Abonnent:innen, zweistellige Wachstumsraten und setzt auf Bootstrapping – eine unglaubliche Erfolgsstory und kein Ende in Sicht. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Michael Hurnaus: Vielleicht fange ich noch eine Stufe vorher an. Wir sind mittlerweile Weltmarktführer und mit Abstand wahrscheinlich drei- bis viermal so groß wie der nächstgrößere Konkurrent weltweit und wachsen weiterhin. Genau vor zwölf Jahren gestartet, wachsen wir nach wie vor mit etwa 50 Prozent jährlich. Wir haben ungefähr 1,1 Millionen aktive Subscriber, das heißt Kund:innen, die monatlich für unsere Angebote bezahlen.
Und jetzt, um zu Ihrer Frage zu kommen: Habe ich damit gerechnet? Von Anfang an? Nein, realistischerweise nicht. Ich war schon immer überzeugt. Mein Hintergrund: Ich war vorher bei Microsoft und bei Amazon, war in den USA verantwortlich für die ersten zwei Generationen der Kindle Tablets und des Kindle Fire. Das heißt, mein technischer und Hardware-Background hat mir sehr geholfen. Ich habe immer gewusst oder gedacht, wenn ich die Zeit, die ich für Amazon investiere, in mein eigenes Business stecke, dann kann das nur erfolgreich sein. Das war zumindest meine naive Denkweise und so habe ich damals gestartet. Dass es funktioniert, daran habe ich von Anfang an sehr stark geglaubt und war auch davon überzeugt. Dass es jedoch so groß wird und nach wie vor so wächst, freut mich natürlich umso mehr.
LEADERSNET: Wie kam es zu Tractive? Was hat Sie dazu bewogen, das Unternehmen zu gründen?
Hurnaus: Ich hatte schon immer etwas Unternehmerisches im Blut. Wie ich damals bei Amazon gearbeitet habe, hat mich Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner besucht. Damals war Runtastic noch sehr klein und er hat mich eigentlich überzeugt, dass die Selbstständigkeit spannend sein kann. Zu dem Zeitpunkt habe ich gesagt, ich bin noch jung, ich habe keine Kinder und ich bin relativ flexibel. Warum nicht jetzt so etwas probieren und das gewisse Risiko des Unternehmertums einzugehen? Dabei habe ich von Anfang an gesagt, wir machen eine Geschichte und die machen wir gut. Wir haben angefangen mit GPS-Tracking für Hunde und Katzen und nicht für alles Mögliche. Tracken von Kindern, Fahrrädern, Reisekoffer und Ähnliches wäre möglich gewesen, jedoch haben wir uns für Hunde und Katzen entschieden. Wir hatten immer schon den Fokus darauf und wir haben uns entschieden, die Besten in dieser Nische zu werden.
LEADERSNET: Das Grundmodell scheint sehr simpel zu sein. Das Abo-Modell erreichte schnell eine kritische Masse und Tractive hat relativ schnell “Pioniervorteile” erreicht. Wie kam es dazu? Wie hat Ihr Team das geschafft?
Hurnaus: Es wirkt vielleicht schnell, es war aber tatsächlich ein relativ langsamer Start, da in Österreich die Menschen vor zwölf Jahren das Abo-Modell zumeist lediglich für das Handy gekannt haben. Das war noch vor Spotify, Netflix oder bevor diese Services populär wurden. Wir haben aber gewusst, wenn wir ein gutes Produkt haben, das die Leute nutzen und auch wirklich verwenden, dann bezahlen sie jeden Monat wieder und wieder und bleiben bei uns. Es sind zwar nur fünf Euro im Monat, jedoch wussten wir, dass wir ein gutes Wachstum hinlegen und den Kund:innen immer etwas Neues bieten können. Irgendwann wurde dies so substanziell, dass es einmal den ersten Mitarbeiter zahlt, dann den zweiten, dann den dritten und nun liegen wir bei circa 270 Mitarbeiter:innen. Das heißt, wir können weiterhin so gesund und gut wachsen und haben so ein profitables Business aufbauen können. Es hat schon seine Zeit gedauert, aber jetzt ist man natürlich in einem Stadium, wo 80 Prozent vom Umsatz mehr oder weniger automatisch wiederkommt.
LEADERSNET: Wie sieht eure Wettbewerbsposition aus? Apple entwickelte den AirTag, Samsung seinen SmartTag. Was machen Sie anders und wie können Sie Ihre Position als Marktführer halten?
Hurnaus: Unser Produkt ist unabhängig davon, wie weit das nächste Smartphone entfernt ist. Für Apple oder die Samsung Tags muss sich der Nutzer innerhalb von 30 Metern des Tags befinden, um es tracken zu können. Der Hund oder die Katze läuft in der Regel nicht dort weg, wo jemand daneben mit dem Handy sitzt, sondern in den Wald, auf die Wiese oder in das Feld. Der Hund ist dann mit so einem Teil nicht mehr trackbar. Darum empfehlen wir Samsung oder Apple als Produkte nicht für Tiere zu verwenden, sondern wirklich nur für die Schlüsselanhänger oder für die Autoschlüssel. Da macht es auch Sinn, aber es ist einfach nicht für Tiere geeignet. Unser Produkt funktioniert egal wo auf der Welt, solange der Tracker an ist und es einen Mobilfunkempfang gibt. Wenn man selbst am anderen Ende der Welt ist, kann man live sehen, wo sich das Tier gerade befindet. Wir haben mit Abstand das beste Produkt, wenn man es neutral nebeneinander vergleicht. Es ist technisch ein kleines Handy, das am Halsband hängt und wir können über 500 Mobilfunknetze global nutzen. Das heißt, wenn der:die Nutzer:in in Deutschland unterwegs ist und es ist das Netz von Vodafone nicht verfügbar, dann wechselt das Gerät automatisch auf T-Mobile. Das Gerät kann fast immer eine Verbindung finden und das unterscheidet uns sehr signifikant von den meisten Mitbewerbern.
LEADERSNET: Die ersten neun Jahre hat es Tractive nur in Europa gegeben. In den USA gab es einen Mitbewerber, der vom “Mars”-Konzern (US-Nahrungsmittelriese) aufgekauft wurde – von diesem ist kaum noch etwas zu hören. Ihr Unternehmen wächst derzeit auch in den USA sehr schnell und ist dort ungefähr so groß wie Ihr nächster Konkurrent. Wie unterscheiden sich die USA von Europa und wie geht Tractive bei der Expansion und Internationalisierung vor?
Hurnaus: Unser großer Vorteil ist, dass wir uns neun Jahre wirklich auf Europa fokussiert und dann die USA dazu genommen haben. Die USA sind ein spannender und zugleich fordernder Markt. Aufgrund der “Trump-Zölle” verlagern wir zunehmend die Produktion unserer Produkte in westliche Länder. Es ist viel schwieriger für einen US-Mitbewerber, nach so einer Zeit nach Europa zu gehen. Denn dieser macht eine Sprache, eine Währung, ein Land. Doch Europa ist viel komplexer, mit den unterschiedlichen Sprachen sowie Währungen und jedes Land “tickt” anders im Vertrieb, etc. Das unterscheidet uns sehr stark. Für uns ist die USA ein spannender Markt, weil es einfach extrem viele Haustierbesitzer:innen gibt und weil man mit einem Land, das man versteht, dann sehr schnell eine große Nutzerzahl dazu bekommen kann, ohne irgendwas speziell machen zu müssen. Die USA sind mittlerweile unser größter Markt. Dennoch ist die Kategorie Awareness, also die Bekanntheit der Produktkategorie, dass es so etwas überhaupt gibt, dort noch wesentlich niedriger als in Europa. Da haben wir schon sehr viel Arbeit gemacht. Beispielsweise Fernsehwerbung speziell im deutschsprachigen Raum und Ähnliches, dass die Leute wissen, es gibt etwas fürs Halsband, damit ich weiß, wo mein Hund ist. Gesundheits-Monitoring und Wellness-Monitoring, wie wir es nennen, von Hund und Katze sind große Bereiche, die wir ebenso abdecken und das ist etwas, das man einfach erzählen muss, damit die Leute wissen, dass es so etwas gibt.
LEADERSNET: Wie häufig kommt es zu Kündigungen des Abos und wie gehen Sie damit um?
Hurnaus: Unsere Kündigungsraten sind wesentlich niedriger als andere Abos, welche die Endkund:innen haben, wie beispielsweise bei Netflix, Spotify, etc. Ich glaube, das zeigt schon, dass unsere Nutzer:innen unser Produkt lieben, verwenden und auch wirklich damit offensichtlich zufrieden sind. Wir wollen es immer weiterentwickeln. Was wir auf jeden Fall versuchen, ist, dass wir es den Kund:innen nicht schwer machen, das Abo zu kündigen. Weil wir genau wissen, wenn der:die Kund:in einfach aus dem Abo raus kann, ist es auch viel einfacher, den:die Kund:in wiederzugewinnen. Ich glaube, die Zeit der “Abofallen” ist vorbei.
LEADERSNET: Mit der 4-Tage-Woche wollte Tractive seine Mitarbeiter:innen gesünder und zufriedener machen. Ist Ihnen das gelungen? Was für Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Hurnaus: Wir haben das vor zwei Jahren eingeführt und machen das immer noch. Bei gleichem Lohn arbeiten unsere Mitarbeiter:innen weniger Stunden. Wir führen laufend Messungen durch und konnten sehen, dass die Mitarbeiterzufriedenheit zugenommen hat, die Fluktuation ging zurück und die Krankenstandstage haben abgenommen. Wir würden das auf alle Fälle wieder machen.
LEADERSNET: Tractive hat eine Kooperation mit der Lauf- und Wander-App Strava angekündigt und ist Anfang des Jahres 2024 in Großbritannien in das Geschäft für Tierversicherungen eingestiegen. Welche zukünftigen Pläne haben Sie noch und was ist noch in der Pipeline von Tractive?
Hurnaus: Wir gehen derzeit stark Richtung Gesundheits-Tracking und zwar nicht als Medizinprodukt. Das ist nicht unser Plan, aber einfach um frühzeitige Erkennung, wenn es dem Tier nicht gut geht. Katzen und Hunde können nicht sprechen, aber man kann am Verhalten erkennen, ob es ihnen gut geht oder ob potenziell etwas falsch läuft.
Themen rund um “Danger-Reports” werden ebenso immer interessanter für uns. Das sind Gefahren-Alarme, wo unsere Nutzer:innen eingeben, dass sich beispielsweise Giftköder in der Nähe befinden. Wenn etwas gefunden wird, dann bekommen alle Nutzer:innen im Umkreis von einem halben Kilometer oder Kilometer die Nachricht, dass etwas nicht stimmt.
LEADERSNET: Welchen Rat würden Sie jungen Unternehmer:innen und Start-up-Gründer:innen geben, die am Anfang ihrer Karriere stehen?
Hurnaus: Der Grund, warum wir so erfolgreich sind, ist unser Fokus. Lieber eine Sache machen, eine kleine Sache und dort mit Abstand der Beste zu sein. Bei vielen Gründer:innen sehe ich häufig, dass sie die Welt neu erfinden und alles riesengroß machen wollen. Es ist okay, wenn man groß denkt, aber eine Sache zu machen und zu schauen, wie nimmt es der:die Nutzer:in an und welchen Mehrwert hat es? Das kann eine mächtige Kraft für den Erfolg eines Unternehmens sein. Dieses Fokusthema ist das, was ich ständig “predige”.