Privatvermögen am Höchststand: Globale Ungleichverteilung gestern und heute – Österreich zählt zu jenen EU-Ländern, wo die Ungleichheit der Vermögen am stärksten ausgeprägt ist

Erschienen im Standard, am 21. Juni 2021

Wir leben in einer Zeit, in der die Kritik am Kapitalismus an der politischen Tagesordnung steht. Mit der kürzlich in Erscheinung getretenen Initiative “Tax me now” preschen selbst schon Reiche und Superreiche in Österreich, Deutschland und der Schweiz vor und fordern von der Politik höhere und faire Steuern. Wenn Sie Aktivisten und anderen Akteuren Glauben schenken, so erleben wir einen “Heuschrecken-Kapitalismus” ungeahnten Ausmaßes. Demnach ist die Ungleichheit so groß geworden, dass sie schließlich zum Niedergang unseres vorherrschenden Organisationsprinzips der Wirtschaft über kurz oder lang führen wird. Was ist dran an dieser Kritik?

Vermögenszuwachs und Steuern

Trotz eines Jahres der wirtschaftlichen Unsicherheit erreichten Finanzanlagen, darunter Aktien, Anleihen und andere Investmentfonds, im Jahr 2020 weltweit einen Rekordwert von 250 Billionen US-Dollar, so ein veröffentlichter Bericht von BCG. Weitere 235 Billionen US-Dollar waren Sachwerte, die 48 Prozent des weltweiten Gesamtvermögens ausmachten. Gemäß dem Bericht wuchs auch in Österreich das privat gehaltene Vermögen um fünf Prozent auf eine Billion US-Dollar an. Bloombergs Jahresendbericht über das Vermögen der Milliardäre der Welt zeigt, dass die reichsten 500 Menschen der Welt im Jahr 2020 ihr Gesamtvermögen um 1,8 Billionen US-Dollar erhöht haben und ein Gesamtnettovermögen von 7,6 Billionen US-Dollar anhäuften. Der Bloomberg-Billionaires-Index verzeichnete im vergangenen Jahr mit einem Anstieg des Vermögens der reichsten Menschen um 31 Prozent seinen größten jährlichen Zuwachs in der Geschichte der Liste. Laut einem Bericht von Oxfam aus dem Jahr 2019 besitzen die reichsten 26 Menschen der Welt so viel wie die ärmsten 50 Prozent. Oxfam veröffentlicht jedes Jahr zeitgleich mit dem Davoser Gipfel einen Bericht über Ungleichheit. Diese Berichte bekommen viele Pressemeldungen, da Oxfam die Kunst versteht, die globale Ungleichheit in einer einfachen, schockierenden Statistik zu verdichten.

Diese Ungleichheiten nehmen so immens zu, weil die steuerliche Gesetzgebung dies begünstigt. So nahmen die Einnahmen der Lohnsteuer hierzulande über die vergangenen Jahrzehnte erheblich zu, während die Vermögenssteuereinnahmen sanken (gemessen am BIP). Ebenso veröffentlichte Pro Publica erst kürzlich einen neuen Bericht, der zeigt, dass die reichsten Menschen der Welt, wie Jeff Bezos, Elon Musk und Carl Icahn, jahrelang keine Steuern oder nur verschwindend geringe Abgaben abführten. Aufschlussreich an dem Bericht ist, dass er nie zuvor gesehene Details zu den Steuerrechnungen bestimmter Milliardäre enthält. So forderte der Amazon-Gründer Jeff Bezos 2011 eine Steuergutschrift von 4.000 US-Dollar für seine Kinder und Warren Buffett, der strengere Steuerregeln für Reiche forderte, zahlte zwischen 2014 und 2018 weniger als 24 Millionen US-Dollar Steuern (bei einem verzeichneten Vermögenszuwachs von 24 Milliarden US-Dollar entspricht das einer Steuerrate von 0,10 Prozent).

Ein Blick zurück

Die Vergangenheit und derzeitige wirtschaftliche Krise zeigt, dass die Vermögensungleichheit noch weiter ansteigen kann und wird. So hat Österreich einen Gini-Koeffizienten von 0,73 und liegt damit im europäischen Spitzenfeld (je näher der Gini-Koeffizient bei eins liegt, desto ungleicher ist Vermögen verteilt). Das reichste Prozent der Österreicher besitzt über 40 Prozent der Vermögenswerte hierzulande. Demgegenüber stehen 50 Prozent der Österreicher, welche weniger als drei Prozent der Vermögenswerte besitzen. Damit zählt Österreich zu jenen Ländern in der EU, wo die Ungleichheit der Vermögen am stärksten ausgeprägt ist. Der Trend der Vermögensungleichheit setzte sich in Pandemie-Zeiten ebenso fort.

Die Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen ist im Laufe der menschlichen Zivilisation abwechselnd gewachsen und geschrumpft. Ein Vergleich der aktuellen Ungleichheitsniveaus mit früheren Niveaus zeigt, dass die Ungleichheit früherer Tage noch viel größer war. Es stimmt, dass in den vergangenen Krisen (einschließlich der globalen Finanzkrise) Ungleichheiten weiter zunahmen und dies sowohl in Industrie- als auch in Entwicklungsländern zu beobachten ist. Und ebenso stürzt die Pandemie Millionen Menschen weltweit in die Armut. Dennoch war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Vermögensungleichheit in Europa und den USA weitaus größer als heute. Vor allem die Kolonialmächte konnten ihrem Landadel ungeahnte Vermögen bescheren und litten unter enormer Ungleichheit. Die beiden Weltkriege und der Niedergang des Kolonialismus verringerte die Ungleichheit in Europa, wohingegen in den USA dies durch die Weltwirtschaftskrise und Reformen von Präsident Franklin D. Roosevelt (Zerschlagung von Trusts) geschah.

In den frühen Teilen des 20. Jahrhunderts wurde die Ungleichheit der Vermögen vor allem durch den Besitz von Land getrieben. Dieser Tage erfolgt die Vermögensbildung hauptsächlich durch die Investition und Veranlagungen in Unternehmen – entweder direkt (Beteiligungen) oder über die Finanz- und Kapitalmärkte (Wertpapiere) – und in festverzinsliche Anlagen, sprich Anleihen, Schuldverschreibungen. Leider werden Aktien auch hierzulande überproportional von Wohlhabenden gehalten, während ärmere Haushalte überproportional in Spareinlagen und andere festverzinsliche Anlagen wie Geldmarktfonds und Anleihen investieren (Österreichs Sparer verlieren jedes Jahr drei bis vier Milliarden Euro). Dies wird die bereits erfahrene Ungleichheit noch weiter befeuern.

Auslöser für einen Rückgang der Ungleichheiten identifizieren

In der Vergangenheit waren gewaltsame Erschütterungen von größter Bedeutung, um die etablierte Ordnung zu zerstören, die Verteilung von Einkommen und Vermögen anzugleichen und die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. So verfolgt auch der österreichische Althistoriker und Professor an der Stanford Universität, Walter Scheidel, in seinem Buch “The Great Leveler” die globale Geschichte der Ungleichheit von der Steinzeit bis heute und zeigt, dass diese zumeist nicht friedlich endet. Dies galt für das pharaonische Ägypten, wie für das viktorianische England ebenso wie für das Römische Reich und wie für die Vereinigten Staaten. Die Vergangenheit lehrt, dass soziale Reformen und steigende Bildungsniveaus kaum zur Verringerung der Ungleichheit in der Bevölkerung beitrugen. Auslöser für eine Verringerung der Ungleichheit waren vielmehr politische Umbrüche und Revolutionen, welche zu Kriegen führten und Naturkatastrophen und Plagen, wie der Schwarze Tod des Mittelalters.

Diese einschneidenden geschichtlichen Ereignisse waren jedoch nicht die einzigen Auslöser, um eine Angleichung der Vermögen herzustellen. So entsprach vor zweitausend Jahren das größte römische Privatvermögen etwa dem 1,5-millionenfachen des durchschnittlichen jährlichen Pro-Kopf-Einkommens im Reich. Ungefähr dem gleichen derzeitigem Verhältnis wie für Bezos und dem durchschnittlichen Menschen der westlichen Welt. Damals nahm die Ungleichheit ab, da viele Menschen ärmer wurden, jedoch hatten die Reichen einfach mehr zu verlieren (aufgrund von Steuern, unfähigen Erben, der Inflation oder einer unzureichende Vermögensveranlagung). In anderen Fällen ging es den Arbeitern besser, während die Kapitalerträge sanken. Dies war in Westeuropa nach dem Schwarzen Tod der Fall, wo sich die Reallöhne verdoppelten und verdreifachten und die Eigentümer geringere Renditen auf das eingesetzte Kapital (Gutsherrn) erzielten (denken wir an die derzeitigen hohen Preise/ Bewertungen von Immobilien und deren derzeitig geringen Renditen).

An einem Strang ziehen

In den letzten Jahrzehnten war die zunehmende Ungleichheit das Ergebnis eines Wirtschaftssystems, das nicht alle involvierten Parteien an den Tisch holte. Österreich versucht da seit langem, die negativen Auswirkungen des freien Marktkapitalismus durch die Einführung sozialer Sicherungsnetze, die Sozialpartner und durch Miteigentum der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmen zu verringern. So müssen hierzulande Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten der jeweiligen Unternehmen vertreten sein. Das führt nicht dazu, dass diese Arbeitnehmervertreter den Erfolg des Unternehmens blockieren oder andere Schritte in die Wege leiten, welche sich gegen das jeweilige Unternehmen richten. Die niedrigen nationalen Streikquoten belegen die Sinnhaftigkeit solcher partnerschaftlicher Maßnahmen eindringlich.

Der Kapitalismus ist nicht kaputt, dies belegt auch die Tatsache, dass er im letzten Jahrhundert Milliarden von Menschen aus der Armut befreit hat. Aber das vorherrschende Ordnungsprinzip ist nicht perfekt und kann verbessert werden, wie es für alle funktioniert. (Bernhard Führer, 21.6.2021)