Gesenkte Unternehmenssteuern: Relevant für den Wirtschaftsstandort?
In vielen Fällen machen die Vorteile eines niedrigeren Steuersatzes aufgrund des internationalen Wettbewerbs die Übersiedlungskosten nicht mehr wett
Erschienen im Standard, am 21. Dezember 2022
Hierzulande kann sich der Finanzminister über sprudelnde Steuereinnahmen freuen. Im Vergleichszeitraum des Vorjahrs konnten die Umsatzsteuern um über drei Milliarden Euro gesteigert werden. Bei der unternehmerischen Körperschaftsteuer war das Plus mit zwei Milliarden Euro deutlich geringer ausgeprägt.
Ziel des österreichischen Budgets ist es, die Körperschaftssteuer schrittweise von zurzeit 25 auf 23 Prozent zu senken. Immer wieder versuchen politische Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Steuersenkungen das Wachstum ankurbeln und die entgangenen Steuereinnahmen von selbst bezahlen würden. Diese Idee wurde von Denkfabriken des freien Marktes und anderen Institutionen immer wieder hochgehalten. Aber was ist dran, und kommt dies allen Menschen zugute?
Steuern für Wachstum oder Wohlstand?
Der Zusammenhang zwischen Unternehmenssteuern und Wirtschaftswachstum wird sehr kontrovers diskutiert. Jedes politische Couleur hat seine eigenen Standpunkte dazu – und verteidigt diese naturgemäß vehement. Vor wenigen Wochen wurde dazu eine Metastudie veröffentlicht, die den Zusammenhang zwischen Unternehmenssteuern und Wirtschaftswachstum näher betrachtet. Es wurden mehr als 40 Studien untersucht, welche eine breite Palette von Ergebnissen liefern. Einige Studien weisen auf einen positiven Effekt von Steuersenkungen auf das Wirtschaftswachstum hin, und andere Studien zeigen keinen Effekt oder sogar einen negativen Effekt im Hinblick auf diesen Zusammenhang.
Die moderne Wissenschaftsforschung und die vergangene Forschung aus den 1960er- oder 1970er-Jahren unterscheidet, dass früher lediglich die verschiedenen Studien betrachtet und die einzelnen Evidenzen abgewogen wurden. Einige Studien wurden als überzeugender als andere angesehen, und einige Studien wurden verworfen – vor allem solche, die vorgefassten Vorstellungen davon, was das Ergebnis sein sollte, widersprachen. Am Ende seien Schlussfolgerungen gezogen worden, die solche Verbindungen (wie Steuern und Wachstum) möglicherweise positiv, aber nicht sehr stark zutage gebracht hätten.
Verzerrungen in der Forschung
Heute wissen wir, dass es in der Literatur einen Publikationsbias gibt (ähnliche Verzerrungen gibt es bei der Geldanlage). Das bedeutet, dass eine Studie, die einen positiven Zusammenhang zwischen niedrigeren Unternehmenssteuern und Wirtschaftswachstum feststellt, viel wahrscheinlicher veröffentlicht wird als eine Studie, die keinen Zusammenhang findet.
Die Metastudie konnte diese Verzerrung in Zahlen fassen und feststellen, dass Untersuchungsergebnisse, die einen positiven Zusammenhang zwischen niedrigeren Unternehmenssteuern und Wirtschaftswachstum ableiten, mit einer bis zu dreimal höheren Wahrscheinlichkeit veröffentlicht werden als Studien, die ein negatives Ergebnis zeigen. Nach Korrektur dieser Verzerrungserscheinungen fassen sie zusammen, dass “Körperschaftssteuersenkungen im allgemeinen Durchschnitt keine wirtschaftlich relevanten oder statistisch signifikanten Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben”.
Es gibt folglich keinen Zusammenhang zwischen Körperschaftssteuersätzen und Wirtschaftswachstum, und daher wird eine Senkung der Körperschaftssteuersätze (wie von der Regierung derzeit geplant) das zukünftige Wachstum nicht beschleunigen, während Steuererhöhungen das Wachstum nicht schwächen werden.
Niedrige Unternehmenssteuern sind nicht das Allheilmittel
In den letzten Wochen wurde ich von Anlegern und Anlegerinnen sowie Investoren und Investorinnen gefragt, ob die geplante Senkung der Körperschaftssteuer Österreich im internationalen Kontext wettbewerbsfähiger machen und Unternehmen dazu anregen könnte, hierher oder in andere Niedrigsteuerländer zu ziehen. Alles, was ich sagen kann, ist, dass wir in unserer modernen Welt bereits fast überall sehr niedrige Körperschaftssteuersätze haben und die geplante Senkung nicht dafür verantwortlich sein wird, dass andere Unternehmen zu uns übersiedeln.
Steuersätze zu senken, um ausländische Unternehmen anzuziehen, hat in der Vergangenheit für Länder wie Monaco, Singapur, die Schweiz und Irland funktioniert, als die Körperschaftssteuer in Ländern wie Frankreich, Deutschland und im Vereinigten Königreich bei 40 bis 60 Prozent lag. Die Zeiten haben sich jedoch geändert, und der Körperschaftssteuersatz beträgt in Frankreich knapp über 30 Prozent, in den Vereinigten Staaten knapp über 20 Prozent und im Vereinigten Königreich 19 Prozent.
Die steuerlichen Anreize für eine Übersiedlung von einem Land in ein anderes sind so gering, dass die Vorteile eines niedrigeren Steuersatzes die Übersiedlungskosten nicht wettmachen. Wenn wir die Unternehmenssteuern in Österreich auf 50 oder mehr Prozent erhöhen würden, wäre die die Sache natürlich eine andere, aber die Tatsache, dass Unternehmen ihre Koffer nicht in Scharen packen, um Österreich zu verlassen, zeigt, dass selbst Körperschaftssteuersätze um die 30 Prozent wie in Frankreich kein Thema sind. (Bernhard Führer, 21.12.2022)