“Das widerspricht doch völlig dem Sinn von Brot als wertvollstes Grundnahrungsmittel”

Erschienen auf Leadersnet, am 13. März 2024

Joseph Brot-Gründer und Gastronom Josef Weghaupt erklärt im LEADERSNET-Interview u.a., warum sein Brot hochpreisig sein muss, wieso der wirtschaftliche Erfolg bei ihm nicht an erster Stelle steht und was ihn dazu bewegt hat, eine Bäckerei zu gründen, die auf 100 Prozent Handwerk und biologisches Getreide setzt. Zudem verrät er, wieso er bei Bewerber:innen nicht auf Lebensläufe und Zeugnisse schaut und wieso ihn das Gerede von der “Bobo-Bäckerei” ärgert.

Obwohl mehr als 70 Prozent des in Österreich verkauften Brotes aus Supermärkten oder Discountern stammen und fast täglich Bäckereien schließen (müssen), entschied sich Josef Weghaupt Ende zwanzig dazu, seinen Job bei einem Industriebäcker aufzugeben und Joseph Brot zu gründen. Er hat mit seiner Leidenschaft für handwerklich hergestelltes Brot und seinem Streben nach höchster Qualität in der Bäckereibranche für Aufsehen gesorgt. Im Interview spricht Josef Weghaupt über die Herausforderungen und Chancen des Handwerks, die Bedeutung von Regionalität und Nachhaltigkeit in der Lebensmittelproduktion und seine Vision für die Zukunft von Joseph Brot.

LEADERSNETSehr geehrter Herr Weghaupt, Sie engagieren sich seit nunmehr fünfzehn Jahren für eine extrem hochwertige Brotkultur mit 100 Prozent Handwerk und 100 Prozent biologischem Getreide aus Österreichs Regionen. Gab es hierfür ein entscheidendes Erlebnis?

Josef Weghaupt: Um ehrlich zu sein, war das eine relativ simple, aber umso wichtigere Erkenntnis. Ich war damals in der Backindustrie tätig und habe täglich miterlebt, dass man Brot und Gebäck technologisch millionenfach produzieren kann. Das in den unterschiedlichsten Preiskategorien und für so ziemlich alle Zielgruppen. Sehr entscheidend für mich war folgende Erkenntnis: Obwohl die Mitarbeiter:innen das Brot für ihren eigenen Bedarf gratis mit nach Hause nehmen durften, ließen es die meisten einfach liegen. Das gibt einem schon sehr zu denken, oder? Sie schenken jemandem Brot und er lehnt es ab. Hat es selbst produziert und verzichtet darauf. Das widerspricht doch völlig dem eigentlichen Sinn von “Brot” als wertvollstes Grundnahrungsmittel. Da beginnt man zu reflektieren, ich jedenfalls. In diesem Zusammenhang muss ich noch erwähnen, dass diese Ablehnung absolut nichts mit hygienischen Mängeln zu tun hatte. Die waren in Ordnung und genau zertifiziert.

LEADERSNETJoseph Brot wurde von Ihnen 2009 gegründet, hätten Sie jemals mit so einem Erfolg gerechnet?

Weghaupt: Nein, und es ging und geht für mich auch nicht um einen Erfolg, wie wir ihn in der Wirtschaft als Schlagwort verstehen. Weitaus wesentlicher ist die persönliche Zufriedenheit, ja, das bedeutet für mich wirklicher Erfolg. Und meine persönliche Zufriedenheit habe ich auch nie über irgendwelche Wirtschaftsdaten definiert. Freilich freue ich mich darüber, wie viele Menschen bereits bei Joseph Brot eine Arbeit gefunden haben, und natürlich machen mich unsere Bio-Bäckerei und jeder einzelne Standort glücklich, aber Erfolg besteht für mich nicht aus Zahlen, sondern persönlicher Zufriedenheit. Wobei ich natürlich auch wirtschaftlich denken muss.

LEADERSNETUnd wann sind Sie beruflich unzufrieden?

Weghaupt: Wenn ein Produkt nicht top ist. So was kann mich richtig fertig machen. Selbst bei einem minimalen Qualitätsunterschied von 0,1 Prozent, den die Kund:innen gar nicht bemerken würden. Aber ich spüre und schmecke es, und das will ich dann sofort ändern.

LEADERSNETSie haben Joseph Brot als “One-Man-Show” begonnen und beschäftigen heute bereits 300 Menschen. Besteht hierbei nicht die Gefahr, dass ein Unternehmen zu einem unpersönlichen Ort mit lauter fremden Leuten wird?

Weghaupt: Wir sind organisch gewachsen, sehr bewusst. Wer zu große Schritte setzt, überspringt oft die menschliche Komponente. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Ich kenne jede:n Kolleg:in in der Bäckerei persönlich, und alle neuen Mitarbeiter:innen werden immer von mir selbst begrüßt. Auch wenn es sich etwas pathetisch anhört: Wir leben bei Joseph Brot einen menschlichen Mikrokosmos, der wohl einzigartig in Österreich ist. Alle sollen wissen, dass sie sich auf uns verlassen können, und wir uns selbst bei privaten Problemen um eine konkrete Hilfe bemühen. Und ebenso sollen sich die Kolleg:innen individuell entwickeln können. Mir geht es nie um irgendwelche Lebensläufe mit tollen Zeugnissen, mich interessiert immer der Mensch. Ich will wissen, wer er ist, und wie er sich weiter entwickeln will. Unsere Verantwortung für ein menschliches Miteinander endet selbstverständlich nicht in der Bäckerei oder an den Standorten – wir beziehen ja unsere Rohstoffe von sehr vielen biobäuerlichen Familien. Egal, ob beim ausschließlich heimischen Biogetreide oder bei internationalen Zutaten gilt hier eine Prämisse: “Immer direkt und fair – und niemals anonym vom Weltmarkt!”

LEADERSNETApropos “Preis”: Joseph Brot wirft man vor, zu hochpreisig zu sein. Nervt Sie dieser Vorwurf?

Weghaupt: Nein. Die meisten Vorurteile entstehen ja aus einer Unwissenheit heraus. Und die unzähligen Arbeitsschritte bei einem ehrlichen, handwerklichen Brot liegen nun einmal außerhalb der Vorstellungskraft von den meisten Konsument:innen. Das dürfen wir den Leuten nicht negativ ankreiden, sondern müssen es noch besser erklären und kommunizieren. Unsere Aufgabe ist es hier, nicht beleidigt zu sein, sondern eben noch klarer und verständlicher zu werden. Was mich allerdings schon ärgert, ist das unreflektierte Gerede von der “Bobo-Bäckerei”. Leute, die das von sich geben, waren noch nie bei uns, weder in einer Filiale noch in einem Bistro. Denn mit einem einzigen Blick würden sie sofort erkennen, dass bei uns alle Altersgruppen, Gesellschaftsschichten und Geschlechter einkehren. Es gibt bei Joseph Brot keine Barriere. So gerne diese auch manche mit ihren Vorurteilen errichten möchten. Ich habe jeden Tag Kontakt mit Kund:innen und so eine oberflächliche Schubladisierung verdient niemand.

LEADERSNETJoseph Brot zählt heute eine Bäckerei im Waldviertler Burgschleinitz und insgesamt zehn Standorte. Werden Sie weiter expandieren?

Weghaupt: Ich freue mich über das, was wir erreicht haben. Das ist schön und dafür kann ich nicht oft genug dankbar sein. Für mich ist einmal die richtige Größe erreicht. Was aber nichts mit Stagnation zu tun hat. Nein, Stagnation ist immer der Tod. Es stellt sich allerdings die Frage, was Wachstum, also sinnvolles Wachstum wirklich bedeutet? Heißt das bloß ständig die Mengen zu steigern und neue Filialen zu eröffnen? Oder sollten wir nicht generell in der Lebensmittelproduktion in der Qualität wachsen? Ich will jedenfalls inhaltlich noch konsequenter wachsen, noch mehr Menschen für die Vision von einem echten, 100-prozentigen Handwerk mit 100 Prozent Bio und einem direkt, fairen Miteinander begeistern.