Der Fall Wirecard: Fehler und Risiken der Geldanlage

Die insolvente Wirecard AG dürfte den meisten Lesern ein Begriff sein, nicht zuletzt deshalb, da die beiden Österreicher, der inhaftierte Markus Braun und der immer noch mit internationalem Haftbefehl gesuchte Jan Marsalek, darin verwickelt sind (es gilt die Unschuldsvermutung). Aufgrund von Ungereimtheiten, verloren Anleger und Investoren enorme Vermögenswerte und ein immenser Schaden für das Ansehen der Kapital- und Finanzmärkte entstand. Doch das hätte nicht sein müssen.
Erschienen im Standard, am 13. September 2021

Keine erforderlichen Nachforschungen und Analysen

Die Wirecard AG, ein in Deutschland ansässiger Zahlungsdienstleister, galt lange Zeit als aufstrebendes und vielversprechendes globales Fin-Tech Unternehmen. Das Unternehmen schlitterte jedoch in die Insolvenz und der börsennotierte Finanzdienstleister riss viele Anleger mit in den Abgrund. Wirecard bot Lösungen für elektronischen Zahlungsverkehr, Risikomanagement sowie Herausgabe und Akzeptanz von Kreditkarten an. Die Tochtergesellschaft Wirecard Bank AG verfügt über eine deutsche Banklizenz. Am 18. Juni 2020 gab das globale Fintech-Unternehmen Wirecard zu, dass große Teile seines Asiengeschäfts falsch dargestellt wurden und in dem Jahresabschluss ausgewiesene Barmittel in Höhe von 1,9 Milliarden fehlen. Fünf Tage später, am 25. Juni 2020, beantragte das Unternehmen Insolvenzschutz vor Gläubigern, und der Kurs der Wirecard-Aktie brach um über 90 Prozent ein. Wie konnte es soweit kommen und wie schützen sich Anleger am besten vor solchen Ungereimtheiten?

Durch ein aufrichtiges, integres Management hätte dieser Schaden für die Anleger offenkundig vermieden werden können. Doch vom ehrbaren Kaufmann, welcher ein ur-europäisches Konzept ist, fehlte jede Spur. Menschen sind verschieden und eine Verbindung zwischen moralischem Verhalten und geschäftlichem Erfolg ist nicht immer anzutreffen, welche das Fundament des ehrbaren Kaufmanns legt. Gemeinhin haben Personen und Manager wesentlichen Einfluss auf den Wert des jeweiligen Unternehmen, jedoch  haben nicht alle ein reines Gewissen und so manch einer kommt zum Schluss, deren Leitgedanke muss sein: Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Anleger hätten ebenso Anzeichen wahrnehmen können, welche diese im Vorfeld hätten warnen können. Während sich die meisten Experten, Ausschüsse und involvierten Stakeholder auf die Entschlüsselung zweifelhafter Rechnungslegungspraktiken und rätselhafter Prüfungsfehler konzentrieren, konzentriert sich dieser Artikel nicht lediglich auf prüfungsrelevante Themen. Zugegeben sehen die Dinge im Nachhinein meist offensichtlicher aus. Dennoch kann eine Nachbetrachtung der Ereignisse viel Lehrreiches beinhalten und der Fall Wirecard zeigt, dass es Warnzeichen gab, welche darauf hindeuteten, dass nicht alles im Reinen mit der Wirecard AG und deren Manager war.

Der tägliche Einkauf und ersparte Vermögenswerte

Es verwundert immer wieder, wie wenig Anleger und Investoren sich mit den zugrunde liegenden Wertpapieren/ Unternehmen oder Anlageklassen (Aktien, Anleihen, Rohstoffe u.Ä.) auseinandersetzen und wie viel beispielsweise mit dem täglichen Einkauf oder Preisrabatten des Supermarkts. Ohne Frage ist dies heutzutage auch wichtig, um mit seinem Ersparten auszukommen. Jim Rogers (einer der erfolgreichsten Investoren unserer Zeit) teilt die Ansicht, dass lediglich das Lesen von Jahresberichten dazu führt, um den Großteil der anderen Investoren voraus zu sein. Die wenigsten privaten aber auch professionellen Anleger tun dies jedoch und noch viel weniger lesen sie die noch viel wichtigeren Fußnoten dieser Geschäftsberichte. Der Fall von Wirecard bestätigt dies.

So führte die verantwortliche Prüfungsgesellschaft grundlegende Prüfungshandlungen nicht aus – wie die direkte Überprüfung bei Finanzinstitutionen, um zu bestätigen, dass Wirecard bei diesen Institutionen über große Bargeldbestände verfügt. Die überwiegende Mehrzahl der privaten als auch professionellen Anleger und Investoren studieren in den Geschäftsberichten dessen ungeachtet nicht den Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers (im Fall von Wirecard von Ernst & Young – kurz EY). Daraus lassen sich jedoch einige nützliche Informationen ziehen und das Beispiel Wirecard zeigt dies auch eindringlich. So schickte der Wirtschaftsprüfer EY schon in den Jahren zuvor Einschränkungen im Hinblick auf die Prüfungen der Bilanzen voraus.

Vorwürfe von Fehlverhalten in der Rechnungslegung verfolgten das Unternehmen jedoch bereits seit den frühen Tagen seiner Gründung im Jahr 1999 und erreichten 2019 einen Höhepunkt, nachdem die Financial Times und andere Medien eine Reihe von Untersuchungen zusammen mit Whistleblower-Beschwerden und internen Dokumenten veröffentlicht hatten. Diese Berichte über die Wirecard AG behaupteten, dass es zu Buchführungsmanipulationen der Umsätze kam. Am 30. Januar 2019 brachen die Wirecard-Aktien ein, nachdem die Financial Times berichtet hatte, dass ein leitender Angestellter der Geldwäsche im asiatisch-pazifischen Raum des Unternehmens in diesem Zusammenhang verdächtigt wurde. Wirecard gab danach eine Erklärung ab, wonach der Bericht als falsch und ungenau bezeichnet wurde. Danach hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 18. Februar 2019 bis zum 18. April 2019 Leerverkäufe von Wirecard-Aktien untersagt. Auch wenn die BaFin während der weltweiten Finanzkrise 2008 aus Angst vor Preismanipulation den Leerverkauf von Banken untersagte, verbot die deutsche Aufsichtsbehörde erstmals einen Leerverkauf eines einzelnen Unternehmens. Dies war ein beispielloser Schritt der Finanzaufsicht in Deutschland.

Stutzig hätte Anleger ebenso die Tatsache machen können, dass das Unternehmen mittels „Reverse Takeover“ an die Börse ging. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil der im Vergleich zum „normalen“ Börsengang viel geringeren Kosten, in viel kürzerer Zeit und mit weniger regulatorischen Anforderungen. Diese ungewöhnliche Methode, vermeidet intensive Prüfungen und das Regulierungsverfahren eines typischen Börsengangs. Hinzu kommt, dass Wirecard durch eine Übernahme im Jahr 2006 ein Fintech mit Banken- und Nicht-Bankengeschäft wurde. Diese hybriden Fintech-Unternehmen unterliegen nicht denselben Vorschriften wie Banken und Finanzunternehmen. Während also die deutsche Finanzaufsicht den Bankzweig von Wirecard streng prüfte und regulierte, kümmerte sie sich nicht so intensiv um das Zahlungsabwicklungsgeschäft des Unternehmens, welches durch regulatorische Lücken fiel.

Diversifikation (Risikostreuung) schützt

Das Risiko einer Einzelaktie wie der von Wirecard AG hätte man ganz einfach durch Risikostreuung umgehen können. Das bedeutet nicht alle „Eier“ (sprich die Vermögenswerte) sollen in einen Korb gelegt werden. Durch eine Aufteilung Ihrer Vermögenswerte auf unterschiedliche Anlageklassen (Aktien, Anleihen u.Ä.) können Sie die Rendite steigern und das Risiko senken. Die Ereignisse für welche Kurskorrekturen verantwortlich sind, sind durchwegs unterschiedlich (die Weltkriege, Technologieblase 2000/01, Immobilien- und Finanzkrise 2007/08, aber auch spezifische Ereignisse wie die der Wirecard AG). Diese lassen sich lediglich rückblickend glasklar erkennen. Die darauffolgenden Ereignisse sind jedoch durch eine deutlichere Brille zu erkennen: Jedes Mal nach scheinbar unüberbrückbaren Ereignissen finden die Wirtschaft und die Finanzmärkte wieder auf die Beine (nicht jedoch risikoreiche einzelne Unternehmen bzw. Aktien wie die Wirecard AG). Und jedes Mal mündet der Weg in steigende Kurse. Ein diversifiziertes Portfolio bestehend aus unterschiedlichen Anlageklassen, zeigt in unterschiedlichen wirtschaftlichen Umfeldern (Wachstum/ Inflation) gute Resultate. Voraussetzung ist, dass man langfristig daran festhält und günstig Nachkäufe tätigt. Ein breit gestreutes Portfolio bestehend aus Aktien, Anleihen und anderen Anlageklassen hätte in einer 10-jährigen Periode in den vergangenen Jahrzehnten immer positive Resultate erzielt.

Beachtung wesentlicher Grundsätze

Der Skandal um die Wirecard AG zog ein immenses mediales Echo nach sich, wurde jedoch kaum aufgearbeitet und die Schäden für die Anleger und den Finanzplatz ziehen weite Kreise. Durch Vermeidung bekannter Fehler und Risiken der Geldanlage hätte dies jedoch für den einzelnen Anleger und Investor leicht verhindert werden können. Ein gut diversifiziertes Portfolio, einschließlich Aktien, Anleihen und einiger anderer Anlageklassen, hat über langfristige Perioden keine negativen Renditen erbracht und in den letzten Jahrzehnten im Durchschnitt mehr als 5 Prozent an Rendite pro Jahr erzielt. Der durchschnittliche Anleger erzielte jedoch aufgrund von vermeidbaren Fehlern und Risiken (Verhaltensverzerrungen wie Gier oder Angst und Einzelaktien wie Wirecard) erheblich weniger an Rendite.