Sollten Sie Ihr gesamtes Vermögen in Aktien anlegen?
Seit Jahrzehnten gelten zwei Grundprinzipien im Portfoliomanagement: Erstens sollte man sein Risiko durch die Verteilung auf verschiedene Anlageklassen streuen – in der Regel Aktien und Anleihen. Zweitens sollte mit zunehmendem Alter der Aktienanteil schrittweise reduziert und stattdessen verstärkt in Anleihen investiert werden. Diese Regeln scheinen in Stein gemeißelt. Doch was, wenn sie hinterfragt werden müssen?
Eine aktuelle Studie legt nahe, dass eine ausschließliche Aktienanlage langfristig die beste Strategie sein könnte – sogar im Ruhestand. Die Untersuchung mit dem Titel „Jenseits des Status Quo: Eine kritische Bewertung der Lebenszyklus-Anlageberatung“ wurde von den Finanzprofessoren Scott Cederburg (University of Arizona), Aizhan Anarkulova (Emory University) und Michael S. O’Doherty (University of Missouri) durchgeführt.
Eine Million Simulationen
Die Forscher analysierten historische Marktdaten seit den 1890er-Jahren und simulierten das Anlageverhalten von einer Million Paaren in 39 Ländern. Die Grundannahme: Ab dem 25. Lebensjahr sparen die Paare 10 % ihres Einkommens bis zur Rente mit 65 Jahren. Danach entnehmen sie jährlich 4 % ihrer Ersparnisse, inflationsbereinigt, bis zum Lebensende.
Untersucht wurden fünf Strategien:
- 100 % Anleihen
- 60 % Aktien, 40 % Anleihen
- Ein anfänglich 100-prozentiges Aktienportfolio, das mit der Zeit in Anleihen umgeschichtet wird
- 100 % inländische Aktien
- 50 % inländische und 50 % internationale Aktien
Das zentrale Kriterium war das Risiko, dass ein Paar im Ruhestand sein Vermögen aufbraucht.
Die Ergebnisse: Ein Portfolio mit 100 % Aktien erzielte im Durchschnitt 30 % mehr Vermögen als ein gemischtes Portfolio mit Aktien und Anleihen. Wer sein Portfolio mit zunehmendem Alter sicherer ausrichtete, musste rund 40 % mehr sparen, um dasselbe Ruhestandskapital zu erreichen. Zudem hatte eine Strategie, die auf eine Mischung aus inländischen und internationalen Aktien setzte, mit 8 % das geringste Risiko, vorzeitig das Geld zu verlieren.
Drei kritische Punkte
Trotz dieser Ergebnisse gibt es drei wesentliche Vorbehalte. Erstens: Die empfohlene Portfolioaufteilung für US-Anleger lässt sich nicht 1:1 auf andere Länder übertragen. Beispielsweise ist ein 50-prozentiger Anteil britischer Aktien für britische Anleger zu hoch.
Zweitens: Die Studie basiert auf historischen Daten, doch die Zukunft ist ungewiss. Obwohl Aktien in der Vergangenheit Anleihen langfristig überlegen waren, gibt es keine Garantie, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Drittens: Die menschliche Psychologie wurde nicht berücksichtigt. Eine rein auf Aktien basierende Strategie erfordert eiserne Disziplin. In turbulenten Marktphasen würden viele Anleger nervös werden und aus Panik verkaufen – oft zum schlechtesten Zeitpunkt.
Fazit: Mehr Aktien wagen?
Trotz dieser Bedenken liefert die Studie wertvolle Denkanstöße. Wer langfristig investiert und starke Nerven hat, könnte mit einem höheren Aktienanteil belohnt werden. Das gilt nicht nur für junge Anleger, sondern auch für ältere.
Charley Ellis, renommierter Finanzautor und 86 Jahre alt, setzt weiterhin voll auf Aktien. „Ich habe nie Anleihen besessen und plane es auch nicht. Mein Vermögen wird erst in vielen Jahren von meinen Nachkommen genutzt werden.“
Diese Strategie ist nicht für jeden geeignet. Doch wer finanziell abgesichert ist und starke Nerven hat, könnte von einer reinen Aktienanlage profitieren – auch im hohen Alter.