Kein allgemeingültiges Rezept für die Geldpolitik

Die Inflationsraten sinken. Doch bedeutet das automatisch, dass die Zentralbanken nun die Zinsen drastisch senken werden? Eine Untersuchung von drei Währungsräumen zeigt: Die Realität ist komplexer.

Noch vor zwei Jahren schien es fast unvorstellbar, dass zweistellige Inflationsraten ohne erhebliche wirtschaftliche Schäden binnen kurzer Zeit gesenkt werden könnten. Doch genau dieses Szenario zeichnet sich ab.

In den USA und der Eurozone sind die Kerninflationsraten, die volatile Energie- und Lebensmittelpreise ausschließen, auf unter drei Prozent gefallen – nur noch leicht über dem angestrebten Zwei-Prozent-Ziel. Gleichzeitig bleiben Anzeichen einer deutlichen Rezession in beiden Regionen aus. Kanada hat sein Inflationszielband von ein bis drei Prozent sogar bereits erreicht.

Ein genauer Blick auf die geldpolitischen Strategien in diesen drei Währungsräumen zeigt die Unterschiede und Herausforderungen.


Kanada: Hypothekenmarkt unter Druck

Kanada nimmt im aktuellen Zinssenkungszyklus eine Vorreiterrolle ein. Die Bank of Canada hat seit Juni die Zinsen viermal gesenkt, wodurch der Leitzins nun bei 3,75 Prozent liegt.

Trotz einer leicht über dem Ziel liegenden Kerninflation verfolgt Kanada eine flexible Strategie. Das Inflationsziel ist kein fixer Punkt, sondern ein Band, das Schwankungen besser berücksichtigt. Die Aussicht auf wirtschaftliche und inflationsbezogene Abwärtsrisiken rechtfertigt laut der Zentralbank weitere Zinssenkungen.

Ein historischer Faktor beeinflusst die Geldpolitik maßgeblich: Der „Interest Act“ aus den 1880er Jahren erlaubt es Kreditnehmern, Hypotheken mit Laufzeiten über fünf Jahre nach diesem Zeitraum mit minimalen Strafzinsen zurückzuzahlen. Dies führt dazu, dass kanadische Banken vorwiegend fünfjährige Hypotheken anbieten, um Risiken zu minimieren.

Diese Struktur sorgt für ein hohes Maß an kurzfristiger Zinsabhängigkeit. Aktuell stehen mehr als vier Millionen Hypotheken vor einer Erneuerung, viele davon zu höheren Zinssätzen. Diese „Hypothekenverlängerungsmauer“ könnte die wirtschaftliche Nachfrage erheblich belasten und den Inflationsdruck weiter mindern.


USA: Robust trotz Zinswende

In den USA sind langfristige Hypotheken mit festen Zinssätzen weit verbreitet. Viele Haushalte haben während der Pandemie von niedrigen Zinsen profitiert und sich diese Konditionen für Jahrzehnte gesichert. Folglich sind bestehende Hypotheken kaum von den Zinserhöhungen der letzten Jahre betroffen.

Der Fokus der Federal Reserve (Fed) liegt daher auf anderen Faktoren, insbesondere dem Arbeitsmarkt. Trotz Befürchtungen im Sommer zeigt sich dieser weiterhin stabil. Nach einem vorübergehenden Anstieg der Arbeitslosenquote liegt diese nun wieder bei rund vier Prozent.

Die Fed hat in den letzten Monaten die Zinsen schrittweise gesenkt, aktuell auf eine Bandbreite von 4,5 bis 4,75 Prozent. Weitere Zinssenkungen hängen von der Inflationsentwicklung ab. Ein positives Signal ist die nachlassende Lohninflation, die sich im Bereich von vier Prozent bewegt. Dies deutet auf eine schrittweise Normalisierung hin, da die Fed Lohnsteigerungen zwischen drei und 3,5 Prozent als kompatibel mit ihrem Inflationsziel betrachtet.

Zudem sind die Wohnkosten, ein wichtiger Bestandteil des Inflationskorbs, im Rückgang begriffen. Dies alles deutet darauf hin, dass die Inflationsrisiken in den USA aktuell unter Kontrolle sind.


Eurozone: Wachstumsschwäche als Herausforderung

In der Eurozone zeichnet sich ein anderes Bild ab. Die Wachstumsdynamik bleibt schwach, was die Nachfrage bremst und den Inflationsdruck weiter reduziert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) prognostiziert für 2024 ein Wirtschaftswachstum von lediglich 0,8 Prozent.

Trotz rückläufiger Gesamtinflation gibt es jedoch noch Baustellen. Die Dienstleistungsinflation lag zuletzt bei fast vier Prozent, was auf einen weiterhin bestehenden Kerninflationsdruck hinweist.

Nach mehreren Zinssenkungen steht die Europäische Zentralbank (EZB) vor einer schwierigen Entscheidung. Einerseits besteht die Gefahr, dass eine zu lockere Geldpolitik den Disinflationsprozess verlangsamt. Andererseits darf das fragile Wachstum nicht gefährdet werden.


Fazit: Keine Einheitslösung

Die Rückkehr zu niedrigen Inflationsraten scheint in vielen Volkswirtschaften gelungen. Dennoch zeigen die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, dass es kein einheitliches Rezept für die richtige Geldpolitik gibt.

In Kanada beeinflusst die spezifische Hypothekenstruktur die Reaktion der Haushalte auf Zinssenkungen. In den USA sind es vor allem Arbeitsmarkt und Wohnkosten, die im Fokus stehen. Die Eurozone wiederum kämpft mit einer Wachstumsflaute, die geldpolitische Spielräume einengt.

Jeder Währungsraum ist einzigartig, und damit erfordert auch die Gestaltung der Geldpolitik eine differenzierte Analyse. Eines ist klar: Ein Patentrezept für alle gibt es nicht.