Der Lindy-Effekt: Warum erfahrene Unternehmen die bessere Wahl für Anleger sind
In den letzten Jahren haben junge Unternehmen, insbesondere aus der Techbranche, aufgrund ihrer hohen Wachstums- und Renditechancen verstärkt das Interesse von Investoren geweckt. Doch laut dem Lindy-Effekt sollten Anleger ihre Strategie überdenken und eher auf etablierte Unternehmen setzen, die sich bereits langfristig bewährt haben.
Langfristige Anlagestrategien und die Rolle der Zentralbanken
Traditionell orientieren sich Anlagestrategien an langfristigem Unternehmenswachstum – oft über mehrere Jahrzehnte hinweg. In den letzten Jahren jedoch haben Niedrigzinsen und expansive Geldpolitik dazu geführt, dass Kapitalmärkte mit Liquidität geflutet wurden. In dieser Phase floss besonders viel Geld in wachstumsstarke Unternehmen aus den Bereichen Technologie und Medizin, da Anleger hohe Renditechancen erwarteten.
Diese jungen Unternehmen setzen auf innovative Geschäftsmodelle, erwirtschaften jedoch häufig noch keine nachhaltigen Gewinne. Investoren spekulieren darauf, dass sich diese Unternehmen zukünftig stark entwickeln werden – eine Annahme, die Parallelen zur Lebenserwartung von Menschen aufweist: Junge Menschen haben statistisch gesehen eine längere zu erwartende Lebensdauer als ältere. Doch der Lindy-Effekt legt nahe, dass dieser Zusammenhang für Unternehmen genau umgekehrt gilt.
Was besagt der Lindy-Effekt?
Der Lindy-Effekt beschreibt ein Phänomen, bei dem die verbleibende Existenzdauer von Ideen, Technologien oder Unternehmen proportional zu ihrem bisherigen Bestehen ist. Je länger etwas bereits existiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass es auch in Zukunft fortbestehen wird.
Ein Start-up, das erst fünf Jahre alt ist, hat nach dieser Theorie eine zu erwartende Lebensdauer von weiteren fünf Jahren. Im Gegensatz dazu hat ein Unternehmen, das bereits seit hundert Jahren existiert, eine hohe Wahrscheinlichkeit, weitere hundert Jahre zu überleben. Dieses Prinzip gilt allerdings nur für Dinge ohne natürliches Verfallsdatum – für Menschen, Tiere und Pflanzen trifft es nicht zu, da biologische Organismen einer natürlichen Alterung unterliegen.
Warum etablierte Unternehmen stabiler sind
Der Grund für die längere Lebenserwartung etablierter Unternehmen liegt darin, dass sie den Test der Zeit bestanden haben. Die Wirtschaft ist von unvorhersehbaren Ereignissen geprägt, die schwächere Unternehmen aus dem Markt drängen. Wer es geschafft hat, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zu überleben, hat bewiesen, dass er sich an unterschiedliche Marktbedingungen anpassen kann. Solche Unternehmen gelten daher als widerstandsfähiger gegen Krisen und wirtschaftliche Schwankungen.
Risiken von Investitionen in junge Unternehmen
Aus der Perspektive des Lindy-Effekts sind Investitionen in junge Unternehmen mit höheren Risiken verbunden. Während es einige prominente Beispiele für Start-ups gibt, die sich zu globalen Giganten entwickelt haben – etwa Microsoft –, zeigt die Statistik, dass die meisten jungen Unternehmen scheitern oder ihr erwartetes Wachstum nicht erreichen.
Für Investoren stellt sich daher das Problem, dass sie potenzielle Erfolgsgeschichten im Voraus nur schwer identifizieren können. Die vergangenen Jahre haben zudem gezeigt, dass viele nicht profitable Unternehmen stark an Wert gewonnen haben, was jedoch primär der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken zu verdanken war. Mit der Straffung der Geldpolitik in Reaktion auf die steigende Inflation sind viele dieser Aktienkurse wieder deutlich gesunken.
Bitcoin und der Lindy-Effekt
Der Lindy-Effekt lässt sich nicht nur auf Unternehmen anwenden, sondern auch auf Innovationen wie Kryptowährungen. Als Bitcoin noch in den Kinderschuhen steckte, herrschten Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Blockchain-Technologie. Doch bisher hat sich die zugrundeliegende Technik bewährt, und es gab keine erfolgreichen Angriffe auf das System. Gemäß dem Lindy-Effekt ist es daher wahrscheinlich, dass Bitcoin noch viele Jahre Bestand haben wird.
Die Ursprünge des Lindy-Effekts
Die Wurzeln des Lindy-Effekts gehen auf den Autor Albert Goldman zurück, der ihn 1964 in einem Artikel mit dem Titel „Lindy’s Law“ in The New Republic erstmals beschrieb. Der Begriff „Lindy“ stammt von einem ehemaligen New Yorker Restaurant, in dem sich Künstler trafen, um die Langlebigkeit von Karrieren in der Unterhaltungsbranche zu diskutieren.
Der Mathematiker Benoît Mandelbrot griff die Idee 1982 in seinem Buch The Fractal Geometry of Nature auf und stellte fest, dass sich dieses Prinzip nicht nur auf Künstlerkarrieren, sondern auf viele langlebige Konzepte übertragen lässt. Je länger etwas Bestand hat, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch in Zukunft fortbesteht.
Fazit: Stabilität schlägt kurzfristiges Wachstum
Der Lindy-Effekt liefert eine wertvolle Perspektive für Anleger, die nach langfristig stabilen Investments suchen. Während junge Unternehmen durchaus hohe Wachstumschancen bieten, sind sie auch mit einem erheblichen Risiko behaftet. Etablierte Unternehmen hingegen haben ihre Widerstandsfähigkeit bereits unter Beweis gestellt und bieten Investoren daher eine größere Sicherheit. In einer sich stetig wandelnden Wirtschaft ist Langlebigkeit oft der beste Indikator für zukünftigen Erfolg.